Der Kampf für eine bessere Zukunft zeichnet sich nicht durch das Warten auf das Morgen der sozialistischen Revolution aus. Kein Gott, kein Erlöser, kein Schicksal, keine fremde Macht kann unserer Klasse ihre geschichtliche Aufgabe abnehmen. Wer auf die Revolution wartet, wird sie nie erleben. Denn proletarische Revolutionen kommen nicht von selbst – wie ein Erdbeben oder der Sonnenaufgang – sondern sie werden gemacht. Sie werden gemacht von der organisierten ArbeiterInnenklasse und den Unterdrückten, wenn diese rechtzeitig aus ihrer Mitte eine Kampfpartei der Revolution geschmiedet haben. Ähnlich wie ein Holzfäller, der eine scharfe Axt und einen starken Arm zum Schlagen eines Baumes braucht, braucht unsere Klasse ihre revolutionäre Partei um den Koloß des Kapitalismus zu fällen. Die Schaffung einer solchen Revolutionspartei ist daher die Voraussetzung dafür, dass die ArbeiterInnenklasse auf dem Wege des bewaffneten Aufstandes ihre Macht errichten kann, um so die gesellschaftliche Umwälzung in Richtung Sozialismus in Angriff zu nehmen.
Doch die ArbeiterInnenklasse kann nicht die revolutionäre Partei aus dem Nichts heraus schaffen. Dies kann nur das Ergebnis eines mehr oder weniger langen Prozesses scharfer Klassenkämpfe mit allen Entbehrungen und vorläufigen Niederlagen, den daraus gezogenen Erfahrungen und deren Fusion mit den unverfälschten Lehren der revolutionären ArbeiterInnenbewegung – also dem Marxismus, dem Bolschewismus – sein.
In diesen Klassenkämpfen kann das Proletariat nur dann bestehen, wenn es mit einem klaren Programm, einem Set von Strategien und Taktiken ausgestattet ist. Dies ergibt sich auch daraus, dass die ArbeiterInnenklasse und die Unterdrückten angesichts der Welle von kapitalistischen Angriffen nicht passiv auf den Sankt Nimmerleinstag warten können. Statt dem Predigen abstrakter Prinzipien erfordert der Kampf ein klares, marxistisches Aktionsprogramm, das mit den vordringlichsten Fragen der unmittelbaren kapitalistischen Angriffe beginnt und eine Brücke schlägt zur revolutionären Beseitigung der Wurzel all dieser Übel – der Herrschaft der Kapitalisten-Klasse.
Wir nennen ein solches revolutionäres Aktionsprogramm ein Übergangsprogramm. Es beinhaltet eine Reihe von Forderungen, die Antworten auf die vordringlichen Attacken der herrschenden Klasse geben. Wir schätzen Reformen, ja selbst die bloße Abwehr von drohenden Verschlechterungen, keineswegs gering. Im Gegenteil, eine Klasse, die nicht für die Verteidigung ihrer Errungenschaften kämpft, wird niemals ihre Befreiung erringen können.
Aber wir sind auch keine Tagträumer. Der Kapitalismus ist in seiner Epoche des Niedergangs und Zerfalls immer weniger in der Lage, selbst nur kleine Verbesserungen zuzulassen. Im Gegenteil, die Kapitalisten müssen alles daran setzen, um die ArbeiterInnen immer mehr auszupressen und die unterdrückten Völker immer stärker auszubeuten, um dadurch den Niedergang ihrer Profitraten aufzuhalten. Gerade deswegen verbinden die Bolschewiki-Kommunisten die aktuellen Tageskämpfe mit der Machtfrage – welche Klasse hat in der Wirtschaft und im Staat das Sagen?
Ein Programm, das sich also auf den Kampf für Reformen beschränkt, ist durch und durch kurzsichtig und verleitet die ArbeiterInnenklasse zu der trügerischen Hoffnung, sie könne eine sichere Existenz innerhalb des Kapitalismus erringen. Doch das Gegenteil ist der Fall: solange das kapitalistische Profitsystem existiert, kann die ArbeiterInnenklasse keine Reformen dauerhaft durchsetzen, ja selbst die bestehenden Errungenschaften nicht verteidigen. Nur mit Einsatz der schärfsten Mittel des Klassenkampfes können gewisse Verbesserungen durchgesetzt werden, aber selbst diese können unter den Bedingungen des niedergehenden Kapitalismus bestenfalls kurzfristig aufrecht erhalten werden. Je länger der Kapitalismus überlebt, um so mehr sind nicht nur die bestehenden sozialen und demokratischen Errungenschaften gefährdet, sondern auch die Existenz der Menschheit selber.
Deswegen muss der Abwehrkampf gegen die Angriffe der Herrschenden heute eingebettet sein in eine längerfristige Perspektive des Kampfes für die sozialistische Revolution. Doch diese Verbindung im Programm darf nicht darin bestehen, dass zu dem Minimalprogramm der Tagesforderungen das Fernziel des Sozialismus mechanisch hinzugefügt wird. Ein solch lebloses Schema eines Minimal-/Maximalprogramms zeichnete die Sozialdemokratie vor ihrer neoliberalen Wende und die (ex-)stalinistischen Parteien heute noch aus. Doch wenn es keine Verbindung, keinen revolutionären roten Faden zwischen dem Minimalprogramm, und dem Maximalziel gibt, dann verkommt letzteres zu einer bedeutungslosen Sonntagsphrase, einem Deckmantel für den Ausverkauf sowohl des Endziels des Sozialismus als auch des Kampfes für die aktuellen Tagesforderungen durch die reformistische Bürokratie.
Ein Programm taugt erst dann als revolutionärer Leitfaden für den Befreiungskampf des Proletariats, wenn es den Übergang von den Tageskämpfen zur sozialistischen Revolution aufzeigt. Die Methode des Übergangsprogramms zeichnet sich dadurch aus, dass die Forderungen nicht Appelle an die Kapitalisten oder ihre Regierung sind. Wir stellen keine Forderungen auf, in der Hoffnung sie durch parlamentarische Kombinationen oder gar eine Beteiligung an einer Regierung im bürgerlichen Staat durchsetzen zu können. Sie sind keine Vorschläge zur Verbesserung oder Reformierung des kapitalistischen Systems.
Nein, die Losungen des Übergangsprogramms sollen der ArbeiterInnenklasse helfen, ihre Kampfkraft entfalten und organisieren zu können. Deswegen besteht der Weg des Kampfes für die Forderungen nicht darin, auf das Wohlwollen der Herrschenden zu hoffen, sondern dass sich die ArbeiterInnenklasse und die Unterdrückten in den Betrieben, den Stadtteilen, den Ausbildungsstätten und Dörfern in Basiskomitees organisieren. Auf diese Weise kann die ArbeiterInnenklasse ihre größtmögliche Militanz entfalten. Daher nehmen im Programm der Bolschewiki-Kommunisten die Methoden des Klassenkampfes einen zentralen Stellenwert ein: die ArbeiterInnenklasse muss für ihre Forderungen mit Massendemonstrationen, Streiks, Generalstreiks, Besetzungen bis hin zu bewaffneten Massenaktionen und Aufständen kämpfen.
Damit hängt auch ein weiteres Merkmal der Übergangsforderungen zusammen. Die Übergangsforderungen stellen die Logik und die Macht des Kapitalismus in Frage. Dem immer größer werdenden Arbeitsstreß bei gleichzeitigem Anwachsen des Arbeitslosenheeres stellen wir die Verkürzung der Arbeitszeit und die Eingliederung aller Arbeitslosen in ein öffentliches Beschäftigungsprogramm entgegen. Auf die steigenden Preise antworten wir mit Preisüberwachungskomitees der ArbeiterInnenbewegung. Gegen die angeblich knappen Kassen der Konzerne und den drohenden Schließungen von Betrieben fordern wir das Ende des Geschäftsgeheimnisses und die Kontrolle der Produktion durch die Beschäftigten. Der zunehmenden Gewalt und Selbstherrlichkeit der Polizei in den Stadtvierteln oder bei Streiks und Demonstrationen halten wir den Aufbau von bewaffneten Selbstverteidigungseinheiten bis hin zu ArbeiterInnen- und Volksmilizen entgegen.
Kurz und gut, das Übergangsprogramm soll dabei helfen, die Selbstorganisation und das Selbstbewußtsein der ArbeiterInnenklasse voranzutreiben. Dadurch kann die revolutionäre Partei leichter an die Erfahrungen der ArbeiterInnen anknüpfen, ihnen das Programm der Bedingungen und Perspektiven der revolutionären Machtergreifung vermitteln und so ein sozialistisches Klassenbewußtsein hineintragen.
Das wiederum setzt allerdings voraus, dass die revolutionäre Partei offen und klar für das Programm in seiner Gesamtheit eintritt. Die Bolschewiki-Kommunisten lehnen es ab, auf eine geheime magische Wirkung von einzelnen Losungen des Programms zu hoffen. Diese können nicht – wie ein Zauberspruch, der plötzlich das Geheimnis offenbart – alleine ausreichen, um den Massen die Augen über die wahre Natur des Kapitalismus und die notwendigen Bedingungen der revolutionären Machtergreifung zu öffnen. Nein, diese Politik der Taschenspielertricks und des Versteckenspielens überlassen wir getrost den Verfälschern des Marxismus diversester Färbungen. Der Ausspruch von Marx und Engels am Ende des Kommunistischen Manifestes, dass „die Kommunisten es verschmähen, ihre Ansichten und Absichten zu verheimlichen“ gilt für den revolutionären Kampf heute mehr denn je. Die Kraft und Überlegenheit des revolutionären Programms liegt in seiner inneren Schlüssigkeit und Konsequenz, in der Gesamtheit seiner Forderungen, Taktiken und Strategien und in dieser Gesamtheit führt das Programm die ArbeiterInnenklasse zum bewaffneten Aufstand und der Errichtung der Diktatur des Proletariats.