Für den Aufbau von Volksmilizen, die einen unabhängigen Kampf gegen die Konterrevolution organisieren!
Erklärung der Revolutionären Kommunistischen Internationalen Tendenz (RCIT), 9. April 2019, www.thecommunists.net
1. Der 75-jährige, selbsternannte "Feldmarschall" Khalifa Haftar hat einen Versuch gestartet, Tripolis, die Hauptstadt Libyens, zu erobern und seine Herrschaft über das ganze Land auszudehnen. Dies hat zur größten Eskalation des anhaltenden Bürgerkriegs seit dem Fall der Diktatur von Muammar Gaddafi im Jahr 2011 geführt. Der Angriff von Haftars so genannter Libyscher Nationaler Armee (LNA) wurde vorerst durch eine Gegenoffensive von Milizen aus Tripolis, Misrata, Zentan und Zawiya gestoppt.
2. Die Revolutionäre Kommunistische Internationale Tendenz (RCIT) tritt für die Verteidigung Tripolis und die Niederlage der Haftar-Truppen ein. Wir lehnen jegliche politische Unterstützung für die sogenannte Government of National Accord (GNA) ab - einer schwachen bürgerlichen Regierung mit Sitz in Tripolis und wenig Autorität. Während diese Regierung von den Vereinten Nationen formell anerkannt ist, erhält sie nur lauwarme Unterstützung von den Großmächten.
3. Es ist offensichtlich, dass General Haftar die bei weitem größte Bedrohung für die verbleibenden Errungenschaften der unvollendeten demokratischen Revolution vom Herbst 2011 darstellt. Haftar ist ein ehemaliger Offizier des Gaddafi-Regimes mit einer dunklen Vergangenheit (nachdem er 1987 Gaddafi den Rücken kehrte, schloss er sich der CIA an; er kehrte 2011 nach Libyen zurück, ging aber später nach einer kurzen Karriere in den Reihen der Libyschen Revolution in die USA zurück; kürzlich spielte er auch eine Rolle beim Erdöl-Geschäften in Libyen mit russischen Staatskonzernen). Im Jahr 2014 startete er die so genannte Operation Dignity, eine anhaltende und andauernde Militärkampagne gegen verschiedene kleinbürgerliche Milizen, die aus dem revolutionären Prozess hervorgingen. General Haftar ist der Handlanger jener Kräfte im Nahen Osten, die den Errungenschaften der Arabischen Revolution die größte Feindseligkeit entgegenbringen: die erzreaktionären Monarchien Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate sowie die blutige Militärdiktatur von General Sisi in Ägypten. Ohne die massive finanzielle und militärische Unterstützung durch diese Regime hätte Haftar keine Chance, seine Pläne durchzusetzen. Haftar bekommt auch entscheidende Unterstützung vom imperialistischen Russland und anderen Großmächten. Die RCIT warnt: Wenn Haftar gewinnt und ganz Libyen erobert, wird er versuchen, eine Diktatur nach dem aktuellen ägyptischen Modell durchzusetzen. Angesichts der Alternative zwischen einer schwachen bürgerlichen GNA-Regierung und einem starken, konterrevolutionären Haftar-Regime haben Revolutionäre keine Schwierigkeiten, das kleinere Übel zu erkennen. Die unmittelbare Aufgabe muss jetzt darin bestehen, die libysche Version von General Sisi zu besiegen!
4. General Haftars Weg der wechselnden Loyalitäten spiegelt das sich wandelnde Kräfteverhältnis zwischen den Großmächten wider. Zweifellos ist er ein langjähriger Verräter und reaktionärer Handlanger des Imperialismus. Er war immer auf der Suche nach dem besten Käufer für seine politische Dienste. Als sich der Niedergang der USA, und der des westlichen Imperialismus im Allgemeinen, immer deutlicher abzeichnete und zu dessen geringer werdenden politischen Einfluss im Nahen Osten führte, begann General Haftar – ebenso wie Sudans Bashir, Ägyptens General Sisi, Barzani und andere - mit dem russischen und chinesischen Imperialismus zusammenzuarbeiten, um dadurch umfangreiche militärische, politische und infrastrukturelle Unterstützung zur Aufrechterhaltung ihrer blutigen Diktaturen zu erhalten. Unternehmen wie Rosneft sind zu Hauptakteuren dieser diplomatischen Spiele geworden, weil alle diese Systeme über bedeutende Ölreserven und andere natürliche Ressourcen verfügen, die von russischen und chinesischen Monopolisten gefördert und gekauft werden würden.
5. Es ist kein Zufall, dass sich verschiedene stalinistische Speichellecker auf die Seite der Haftar-Kräfte gestellt haben. Dies steht im Einklang mit ihrer Unterstützung für andere ähnliche Vertreter der zeitgenössischen Konterrevolution wie Assad, Putin und Sisi. Die Stalinisten und zahlreiche Pseudolinken haben die libysche Revolution im Jahr 2011 nicht unterstützt, weil sie die törichte Behauptung aufgestellt hatten, Gaddafi sei nicht von den revolutionären Massen, sondern von der NATO gestürzt worden. Es ist nicht ohne Ironie, dass solche selbsternannten "Antiimperialisten", die die Arabische Revolution von Anfang an als "CIA-gestützte Farbrevolutionen" anprangerten, heute langjährige pro-amerikanische Kräfte wie General Haftar, die kurdische YPG in Syrien oder die Besatzungsregime im Irak und Afghanistan unterstützen. Sie rechtfertigen eine solche groteske Kapriole, indem sie den Kampf solcher pro-imperialistischen Kräfte gegen den sogenannten "Islamofaschismus" begrüßen. Sie sind sich des bizarren Charakters ihrer Behauptungen nicht bewusst, da Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, die angeblichen Hauptanhänger des "Islamismus" in der Region, eigentlich die Hauptsponsoren der Haftar-Truppen sind!
6. Tatsächlich war die begrenzte Intervention der NATO im Jahr 2011 weder der entscheidende Faktor für die libysche Revolution noch ist es den westlichen Imperialisten gelungen, das Land zu unterwerfen. Dies wurde deutlich, als es den US-amerikanischen und europäischen Imperialisten nicht gelang, ein loyales und mächtiges Lakaienregime zu installieren. Ein besonders sichtbarer Ausdruck dieses Scheiterns war der Ausbruch von Unruhen in Bengasi im September 2012 nach der Veröffentlichung eines anti-muslimischen Hetzfilms, der von rechten, amerikanischen Rassisten produziert wurde. Im Zuge dieser Unruhen wurde das US-Konsulat gestürmt und niedergebrannt, so dass der amerikanische Botschafter in Libyen, Chris Stevens, sowie eine Reihe von Botschaftsangehörigen und Sicherheitskräften ums Leben kamen. Seitdem sind fast alle westlichen Botschaften und ausländischen Unternehmen aus Libyen geflohen. Nach dieser "Katastrophe" haben sich die Großmächte mit einem Projekt der Befriedung und Stabilisierung beschäftigt. Dies hat unter anderem zur Entwaffnung von Zehntausenden von Militanten und zu den Versuchen geführt, die zahlreichen Milizen aufzulösen, die mit dem Bürgerkrieg vor acht Jahren entstanden sind. Libyen ist ein bedeutendes Land für die großen Ölkonzerne, da es über die größten nachgewiesenen Ölreserven in Afrika verfügt. Es hat sich zu einem wichtigen Lieferanten von leichten Rohstoffen für die europäischen Märkte entwickelt. Die Verwandlung Libyens in ein großes Konzentrationslager (wie es Ägypten heute ist) würde es der imperialistischen EU zusätzlich ermöglichen, ihre Südgrenze besser zu sichern und den Zustrom von Migranten zu stoppen.
7. Niemand sollte der bürgerlichen GNA-Regierung, den Geschäftsleuten in Misrata oder den verschiedenen kleinbürgerlichen islamistischen Kräften vertrauen. Sie sollten noch weniger auf jeden Aufruf der Vereinten Nationen zur "Deeskalation" vertrauen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass sich die Arbeiter und Armen in Libyen selbstständig in Volksmilizen organisieren, um die konterrevolutionären Kräfte von General Haftar zu besiegen. Ein solcher Kampf muss mit der Unterordnung der bedeutenden Ölindustrie unter die Kontrolle der Arbeiter, verbunden mit der Schaffung einer Arbeiter- und Volksregierung einhergehen.
8. Der Kampf in Libyen ist Teil der aktuellen Arabischen Revolution. Die RCIT ruft Revolutionäre auf, ihre Unterstützung für die Befreiungskämpfe gegen die kapitalistischen Diktaturen und die Aggression der Großmächte im Nahen Osten zu verstärken. Wir sagen, dass die Volkskämpfe in Algerien, Syrien, Sudan, Libyen, Palästina und Iran zu einer einzigen Intifada vereinigt werden sollen, um die gesamte Region von reaktionären Diktaturen, Überausbeutung durch imperialistische Monopole und Großmachtherrschaft zu befreien. Für eine sozialistische Föderation von Arbeitern und Bauernrepubliken im Nahen Osten!
Internationales Sekretariat der RCIT
Für unsere Analyse der Libyschen Revolution verweisen wir auf folgende Dokumente:
RCIT: Stop the US Bombing of Libya! Mobilize against the Expansion of the Imperialist War! Defeat the Imperialist Aggressors and Their Lackeys in Libya! 23.2.2016, https://www.thecommunists.net/worldwide/africa-and-middle-east/us-bombing-libya/
RCIT: General Sisi, Hollande, Obama: Hands Off Libya! Defeat General Haftars’ Imperialist Lackeys! Down with the Daash-Gang of Killers! For a Workers’ and Popular Government! 26.2.2015,http://www.thecommunists.net/worldwide/africa-and-middle-east/hands-off-libya/
Michael Pröbsting: Liberation Struggles and Imperialist Interference. The failure of sectarian “anti-imperialism” in the West: Some general considerations from the Marxist point of view and the example of the democratic revolution in Libya in 2011, in Revolutionary Communism No. 5 (2012), http://www.thecommunists.net/theory/liberation-struggle-and-imperialism/
RKOB: After the collapse of the Gaddafi regime: Where now for the Libyan Revolution? in Revolutionary Communism No. 1 (2011), http://www.thecommunists.net/worldwide/africa-and-middle-east/libya-collapse-of-gaddafi-regime/
Michael Pröbsting: The intervention of the imperialist powers in Libya, the struggle of the masses against Gaddafi’s dictatorship and the tactics of revolutionary communists, in Revolutionary Communism No. 1 (2011), www.thecommunists.net/worldwide/africa/libya-revolutionary-tactics